Im Juni 2014 feierte das SpA sein 30jähriges Bestehen. Viele ehemalige MitarbeiterInnen und Studierende sowie interessierte Fachpersonen sind der Einladung zur Fachtagung und Jubiläumsveranstaltung Lernen – Lehren –Forschen gefolgt, um Einblicke in aktuelle Arbeitsschwerpunkte zu erhalten und Rückblicke auf 30 Jahre Lehr- und Forschungsambulanz vorzunehmen.
Die Chronik des SpA lässt sich über seine drei bisherigen personellen Leitungen abbilden, die über eigene Arbeitsschwerpunkte und Interessen markante Meilensteine gesetzt und die Ausrichtung der Lehr- und Forschungsambulanz geprägt haben.
Prof. Dr. Gregor Dupuis wurde 1980 auf die erste Professur für Sprachbehindertenpädagogik an der Universität Dortmund berufen. Sein Engagement zur Gründung einer Praxiseinrichtung an einer Hochschule folgte zweierlei Motiven: Einmal setzte er sich für eine Akzentuierung der Erziehungswissenschaft resp. Sonderpädagogik als Anwendungswissenschaft (versus reine Geisteswissenschaft) ein, die eine enge Verbindung von Theorie, Forschung, Praxis und Lehre braucht. Zum anderen wollte er mit einer ersten sprachtherapeutischen Praxiseinrichtung an einer deutschen Universität ein Exempel statuieren und das derzeit junge Fachgebiet der akademische Sprachtherapie prägend mitgestalten. Hier lag seine wissenschaftliche Auffassung zugrunde, dass der Kern von Sprachtherapie eine komplexe didaktische Aufgabe darstelle und deshalb die Didaktik der Sprachtherapie ein zentraler Gegenstand von Forschungsaktivitäten und Lehrtätigkeiten sein müsse. Universitäten müssten in der Lage sein, originäre Sprachtherapie unter Bedingungen, wie sie in der Praxis vorzufinden sind, in den Mittelpunkt zu stellen.
1984 ist es schließlich gelungen, eine modellhafte Praxiseinrichtung mit Ernstcharakter im Fachgebiet Sprache & Kommunikation an der Universität Dortmund zu gründen, die
Gleichwohl sollte das SpA nicht in Konkurrenz zu niedergelassenen logopädischen Praxen stehen. Deshalb hat es sich seit Beginn um die besonderen Fälle gekümmert, die in den Praxen wegen knapper zeitlicher und personeller Ressourcen nur wenig versorgt waren (etwa hörgeschädigte Menschen, nichtsprechende Menschen, Menschen mit progredienten Erkrankungen). Genau das kann eine Universität bieten: Personelle Ressourcen resp. junge Studierende, die sich einsetzen und LERNEN wollen!
Insofern hat die erste Phase des SpAs ihre deutliche Akzentuierung im Bereich des LERNENS: Die einzelfallbezogene Arbeit mit den „Patienten“ stand im Vordergrund: Studierende wurden in Sprachtherapeutische Abläufe eingeführt, sie lernten die Didaktik der Sprachtherapie. Dupuis hat immer betont, dass jede einzelne Fallarbeit bereits als Fallstudie zur Forschungsarbeit werden kann. Gleichwohl sprach er von einem Spagat zwischen hochkarätigen Praxisabläufen einerseits und Forschungsaktivitäten andererseits. Sein Akzent lag deutlich auf der Praxis resp. dem LERNEN, der Didaktik der Sprachtherapie.
Mit der Gründung des SpA an der Universität Dortmund wurde der Grundstein für ein Erfolgsmodell gelegt, dem später viele Hochschulen gefolgt sind (Halle, Leipzig, Heidelberg, Hannover). Dass sich das SpA während der letzten 30 Jahre als klinische Versorgungsinstanz der Region etabliert hat, ist den Zahlen der Patientenstatistik zu entnehmen.
1994 wurde Prof. Dr. Nitza Katz-Bernstein auf eine neu eingerichtete zweite Professur im Fachgebiet Sprachbehindertenpädagogik berufen. Sie kommt aus Israel und der Schweiz, ist Psychologin, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin und Logopädin. Mit großem Engagement und Schaffensdrang übernahm sie die Leitung des SpA. In den folgenden vierzehn Jahren ihrer aktiven Zeit an der Universität Dortmund trug sie mit prägenden Akzenten ganz wesentlich zum bis heute existierenden Profil der Einrichtung bei. Ihr Anspruch galt einer Qualitätssicherung der klinischen und ausbildenden Arbeit des SpA über interne und externe Kommunikation sowie interdisziplinäre Vernetzung.
Als erste kommunikative und kooperative Handlung hat sie Katja Subellok als Co-Leitung für das SpA gewonnen. Damit folgte sie einem ihrer wichtigen Lebensprinzipien: Nur geteilte Visionen sind starke Visionen! Zusammen ist mehr zu schaffen als im Einzelkämpfertum! Dieses Prinzip bestimmte auch ihre weitere Arbeit. Intern führte Nitza Katz-Bernstein neue kommunikative Rituale im Team ein: Kontinuierliche Supervision - in Kooperation mit dem Bewegungsambulatorium der Fakultät - und Fallbesprechungen dienten der Qualitätssicherung der klinischen Tätigkeiten. Kern war immer ein respektvoller und wertschätzender Umgang miteinander. Die externe Kommunikation und Präsenz des SpA in der Fachöffentlichkeit wurde über Publikationen, Präsentationen auf Kongressen und Tagungen sowie Fortbildungen forciert und etabliert. Sechs Märztagungen des SpA in den Jahren 2001 bis 2006 fanden große Resonanz in der Fachwelt. Fachliche (internationale) Kooperationen, Interdisziplinarität und Vernetzung waren stets Nitza Katz-Bernsteins Bestreben. So hat sie 1999 gemeinsam mit ihrem Kollegen Gerd Hölter das Zentrum für Beratung und Therapie (ZBTF) der Fakultät Rehabilitationswissenschaften ins Leben gerufen.
Die Studierenden profitierten von Nitza Katz-Bernsteins didaktischem Geschick. Sie entwickelte und etablierte erfolgreich neue theorie- und praxisintegrierende Lehrformate wie etwa Applikationen von Supervision in größeren Seminargruppen. Vermitteln und LEHREN, auch über den universitären Kontext hinaus, bildeten die tragenden Tätigkeitsschwerpunkte ihrer Schaffenszeit. Während dieser Periode erlebte das SpA seine „Blütezeit“ in einer qualitativ hochwertigen universitären Ausbildung von akademischen SprachtherapeutInnen in Deutschland.
Auch Inhaltlich hat Nitza Katz-Bernstein markante Akzente gesetzt: Sie führte Modelle einer entwicklungspsychologisch fundierten Kinder(Sprach-)Therapie (u. a. Safe-Place-Konzept) ein und vermittelte eine kindgerechte Sprachtherapiedidaktik, die seitdem in der klinischen Arbeit mit Kindern im SpA zur Anwendung kommt. Kindliche Redeflussstörungen (Stottern, Poltern) und Erzählfähigkeiten sind bis heute wichtige fachliche Schwerpunkte im SpA. Doch insbesondere wurde mit der Einführung des selektiven Mutismus ein wichtiger Grundstein für die weitere Arbeit des SpA gelegt.
Priv.-Doz. Dr. habil. Katja Subellok
SpA und Fachgebiet S&K erleben im Wintersemester 2007/08 einen markanten personellen Einschnitt. Beide LehrstuhlinhaberInnen emeritieren; Nitza Katz-Bernstein zum Beginn und Gregor Dupuis zum Ende des Semesters. Katja Subellok übernimmt die Interimsvertretung des Lehrstuhls und fortan die alleinige Leitung des SpA.
Solche Zwischenphasen sind prädestiniert für Umstrukturierungen. In diese Zeit fällt die Entscheidung der Fakultät Rehabilitationswissenschaften, den gut gefragten Schwerpunkt „Sprachtherapie“ im Studiengang Rehabilitationspädagogik zugunsten eines allgemeiner angelegten Studienprofils nicht wieder aufzulegen. Die Konsequenz für das SpA lag damit auf der Hand: An der Traditionsausbildungsstätte Dortmund werden zukünftig keine akademischen SprachtherapeutInnen mehr ausgebildet. Stattdessen erhielt die Therapie- und Unterrichtsforschung mehr Gewicht.
Für diese Neuorientierung wurde mit der Berufung von Ute Ritterfeld an die TU Dortmund zum Sommersemester 2010 ein prägender personeller Meilenstein gesetzt. Bis heute werden das Sprachtherapeutische Ambulatorium und das Fachgebiet Sprache & Kommunikation von einer weiblichen Doppelspitze geleitet.
Als universitäre Lehr- und Forschungsambulanz schafft das SpA mit seinen großzügigen und angenehmen Räumlichkeiten eine Atmosphäre, in denen sich Eltern, Jugendliche und Familien wohlfühlen können. Darüber bieten sich ideale Rahmenbedingungen für die (drittmittelgeförderte) Durchführung auch größerer Studien an. Ergebnisse von zwei umfangreichen Längsschnittstudien liegen bereits vor: „Gesten und Sprachentwicklung“ und „Mutismus und Mehrsprachigkeit“. Aktuell wird der „Dortmunder Längsschnitt“ in den Räumen des SpA weitergeführt, bei dem Kinder im Alter von zwölf Monaten bis sechs Jahren untersucht werden.
Innerhalb dieser Jahre akzentuiert das SpA seine fachlichen Schwerpunkte noch prägnanter. Neben der frühen Sprachentwicklung und den komplexen (Sprach-) Entwicklungsbeeinträchtigungen steht mittlerweile der selektive Mutismus im besonderen Fokus von klinischer Versorgung, Fort- und Weiterbildung sowie Forschung. Die Aktivitäten führten 2014 zur Gründung des Dortmunder Mutismus Zentrums DortMuZ. Mittlerweile zählt das SpA mit seinem überregional agierenden Dortmunder Mutismus Zentrum zu einer der wichtigsten klinischen und Forschungseinrichtungen für selektiven Mutismus in Deutschland.